Mit grossen Erwartungen, durch Aussagen meines Vorgängers geschürt, startete ich am Montag 17. Oktober 2022 meine Reise zu einem vierwöchigen Abenteuer durch Finnland.
In Helsinki gelandet, wurde ich von einem Mitglied der Finnisch-Schweizerischen Offiziersvereinigung freundlich in Empfang genommen. Von der Natur beeindruckt, wechselte ich nur wenige Worte auf der Fahrt auf die Militärinsel Santahamina. Auf eigene Faust machte ich dann in meiner Freizeit einen ausgedehnten Spaziergang über die Insel, die nicht nur militärisch genutzt wird, sondern auch den Familienmitgliedern der Armeeangehörigen ein Zuhause bietet. Aufgefallen ist mir, dass niemand sein Fahrrad abgeschlossen hat. Zudem wurde mir zugetragen, dass die Wohnungen auf der Insel meistens auch nicht abgeschlossen seien, da so oder so niemand was stiehlt. Dies kann ich nur bestätigen. Schlüssel, Portemonnaies, Uhren und Handys lagen nicht nur vor der Sauna in der Umkleide herum, sondern auch in den Armeeeinrichtungen ohne, dass sich jemand Sorgen machen musste, dass etwas wegkommt.
In den ersten Tagen erhielt ich eine Ausbildung, um in Finnland ein militärisches Fahrzeug führen zu dürfen. Kurz um, ich fühlte mich wie damals, als ich den Führerschein machte. Dennoch empfand ich dies als sehr lehrreich, da der Verkehr um Helsinki etwas speziell ist und die Witterungsverhältnisse nur wenig mit denen meines Wohnortes in der Schweiz zu tun haben. Mit einem Mietauto mit Spikes ausgerüstet, fühlte ich mich aber schnell bereit auf die bevorstehenden Kilometer.
In Niinisalo erhielt ich spannende Einblicke in eine Infanterie Unterstützungskompanie, einer Artillerie Abteilung und in eine Logistik Kompanie. Das rund 60’000 km2 grosse Übungsgelände war beeindruckend und bietet allen mehr als genügend Platz für ihre Trainings. Mir wurde erst bewusst wie gross das Gelände ist, als wir mit dem Auto mehr als eine halbe Stunde unterwegs waren, um eine andere Kompanie zu besuchen.
Die Motivation der Truppen schien mir sehr hoch, auch wenn sie eine ganze Woche im Zelt bei kühlen Temperaturen nächtigen mussten. Das WK-Modell in Finnland kann man auch nur schlecht mit dem der Schweiz vergleichen. Die WKs dauern in der Regel eine Woche. Am Montag wird eingerückt und das Material gefasst. Ab Mittwoch wird bereits scharf geschossen und am Freitagnachmittag wird die Truppe bereits wieder entlassen. Die Armeeangehörigen nehmen zudem kein Material mit nach Hause. Dieses bleibt, inklusive Sturmgewehr, am jeweiligen Standort. Ebenfalls speziell ist, dass man zu einem WK eingeladen wird. Ob man eingeladen wird, wird von der Obrigkeit entschieden, wahrscheinlich nach dem Prinzip der Wichtigkeit der Truppengattung. Es kann gut sein, dass man mehrere Jahre nicht in den WK geht. Spätestens dann aber mit 60 Jahren ausgemustert wird. Somit stellt die Finnische Armee auch sicher, dass sie eine hohe Anzahl an Reservisten zur Verfügung hat.
Die Armee geniest in Finnland mit 83% einen sehr hohen Zuspruch in der Bevölkerung. Über die Hintergründe muss man nicht rätseln.
Im zweiten Teil meiner Finnland-Reise ging es an den Polarkreis. Wegen den Wetterbedingungen waren mir leider Polarlichter verwehrt geblieben. Auch ein Grund, warum ich auf jeden Fall nochmals nach Finnland reisen werde.
Der Besuch bei der Grenzwache war mit unter anderem einer der spannendsten Besuche. Sehr beeindruckend ist, mit welcher Gelassenheit die Grenzwache die aktuelle Situation verfolgt. Wieso die Finnen einen stets gelassenen Eindruck machen, kann ich mir zwar nicht erklären, aber dennoch könnten sich hier bestimmt viele eine Scheibe abschneiden. Die rund 1’350 km lange Grenze zu Russland wird nur zu einem kleinen Teil digital und mit Personal überwacht. Ein Grossteil jedoch wird «nur» durch Patrouillen und dem Zufallsprinzip überwacht. Dies wohl aus dem Grund, dass das Grenzgebiet hauptsächlich aus Wald und Mooren besteht und beide Länder ein Betretungsverbot haben. Ohne Bewilligung darf man sich nicht in die Grenzzone begeben. Vereinzelt wohnen jedoch Leute da und auch die in Freiheit lebenden Rentiere müssen von Zeit zu Zeit von ihren Besitzern wieder von der Grenze weggeführt werden. Seit der Schliessung der Grenze ist auch die Kriminalität deutlich zurück gegangen. Allein fahren in alkoholisiertem Zustand sei um mehr als 80% zurück gegangen.
Auf grosses Unverständnis seitens der Finnischen Armee stiess ich, als ich ihnen klar machen musste, dass die Schweiz über keinerlei Minen verfügt, die durch die Genietruppen gelegt werden. Das Pendent zu den Genietruppen sind die Ingenieurtruppen in Finnland. Diese verfügen über eine Vielzahl unterschiedlicher Anti-Panzer- und Anti-Fahrzeug-Minen. Durch die Art und Weise, wie und wo sie die Minen einsetzen können und wollen, wurde mir auch klar, wieso sie sich Finnish-Defence-Forces nennen.
Wieso sich die Schweiz nicht oder noch nicht als Defence-Forces bezeichnet, kann ich nicht verstehen. Es würde meiner Meinung nach, schon allein bei der Namensgebung, am Image etwas ändern.
Alles in allem darf ich sagen, dass ich enorm stolz bin und mich geehrte fühle, dass ich die Schweizer Armee in Finnland vertreten durfte. Die eine oder andere Erfahrung, brachte mir bis dato nicht nur in meiner militärischen Funktion etwas, sondern auch im zivilen Leben.
Hptm Cyrill Schaller